Alfred Stamm

Alfred Stamm

19.10.2016
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Angelegt am 18.10.2016
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Alfred Stamm

18.10.2016 um 21:50 Uhr von NWZ
Foto Alfred Stamm für Alfred Stamm

Der Neunzigjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

18.10.2016 um 21:47 Uhr von NWZ

 

Alfred Stamm wird 90 – Aus Altenheim getürmt – Als junger Mann nach Schweden geflohen


Es ist nicht das erste Mal gewesen, dass er einfach abgehauen ist. Als Alfred Stamm aus gesundheitlichen Gründen zur Kurzzeitpflege in einem Alten- und Pflegeheim untergebracht war, machte er sich eines Tages einfach aus dem Staub. „Da war ja niemand, mit dem man reden konnte“, sagt der Senior. Als man ihm eröffnete, der Aufenthalt im Heim könnte wohl noch etwas länger dauern, da hat er sein altes Leben noch mal selbst in die Hand genommen. „Ich konnte da nicht atmen. Also bin ich einfach abgehauen – nach Hause.“ Es sei ihm ja schon wieder ganz gut gegangen, erzählt Alfred Stamm, der an diesem Mittwoch 90 Jahre alt wird.


Schon einmal ist er einfach abgehauen. 1944 war das, im September. Nazi-Deutschland war im Krieg mit der Welt und Alfred Stamm, der sich geweigert hatte, ein Hitler-Junge zu werden, war als knapp 18-jähriger Matrose auf einem Handelsschiff unterwegs, das Holz von Finnland nach Bremen transportierte. Als er nachts vom Deck der „Insterburg“ Lichter in der Ferne wahrnahm, wusste er, das ist die schwedische Küste. Mit seinem Kameraden „Ikke“ schlich er sich von Bord, sprang in die kühle Ostsee und verschwand in der dunklen Nacht. . .


Als der nächste Morgen dämmerte, schleppten sich Matrose Alfred Stamm und Heizer Ikke nach sieben Stunden in der See mit letzter Kraft an Land. „Die Zähne haben uns geklappert wie ein Maschinengewehr“, sagt Stamm. Sie hatten den äußersten Zipfel der Stockholmer Schären erreicht.


Die Geschichte seiner Flucht durch die See, die Jahre seiner Kindheit in Ostpreußen, die Rückkehr nach Deutschland 1948, der Neubeginn in Friesland, Seefahrerei, Familiengründung, Hausbau – all das hat Alfred Stamm vor ein paar Jahren aufschreiben lassen, als Biografie seines Lebens. „Ich habe mich schon so oft geärgert, wie im Fernsehen viel Lärm um Nichts gemacht wird“, sagt Alfred Stamm. Sein Leben mit all seinen Höhen, und Tiefen und Abenteuern sei auch erzählenswert und für andere sicher ein interessantes Stück Zeitgeschichte. 


Und es gibt wirklich viel zu erzählen: Wie er vor den Nazis floh, wie er und Ikke auf dem menschenleeren Eiland nach einer Woche ohne Nahrung von einer schwedischen Küstenpatrouille gerettet wurden, wie er in Schweden ein völlig neues Leben angefangen hat, schnell die Sprache lernte und sich in der Fremde als Holzfäller, Tabakpflücker, Möbelpacker, Seifenkocher und Diesellok-Fahrer durchs Leben schlug. Wie er irgendwann eine feste Bleibe im Seemannsheim in Norrköping fand, wo er sich eines Abends mit dem größten Rüpel der Gegend anlegte und klarstellte, dass er sich nichts gefallen lässt.


Mutter und Schwester stöberten ihn schließlich mit Hilfe des Roten Kreuzes in Schweden auf, er kehrte zurück ins zerbombte Deutschland. „Ich hätte in Schweden bleiben sollen“, sagt er heute, das seien die schönsten Jahre seines Lebens gewesen.
Erst viele Jahre später ist Alfred Stamm, der mittlerweile Urgroßvater ist, für einen Sommerurlaub und für ein Wiedersehen mit Weggefährten von damals zum ersten Mal in sein Sehnsuchtsland Schweden zurückgekehrt. Drei weitere Besuche folgten. Obwohl er letztlich auch aus Schweden verschwand, ist seine Verbundenheit mit dem Land ungebrochen, sagt Alfred Stamm. „Ich liebe das Land bis heute“, sagt er.


Im Nordwesten wurde er heimisch, lernte seine spätere Frau kennen und gründete eine Familie. Er arbeitete unter anderem bei den Olympia-Werken in Roffhausen und bekam schließlich doch wieder die See zu sehen bekam – als Dockmatrose im Marinearsenal in Wilhelmshaven.


Heute lebt er allein in Accum. Seinen 90. feiert Alfred Stamm in kleinem Kreis mit Kindern und Enkeln.

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NWZGlückwünsche

Übergeben am 18.10.2016 um 21:44 Uhr